Hi aus Namibia,
heute ist es wie jeden Tag warm. Die Tageshöchsttemperatur lag heute bei 43 Grad, ist aber schon wieder auf dem absteigenden Ast. Mir ist es ein Bedürfnis, einmal ein paar „Geheimnisse“ der großen Flüge hier auszuplaudern und gleichermaßen zu versuchen, Anhaltspunkte zu liefern, ob die Fliegerei hier für jedermann geeignet ist und inwieweit man sich vorbereiten kann und sollte.
Völlig anders als erwartet
Erwartungshaltungen sind bei mir immer komplexe und diffuse Gedankengänge. Die Erwartungen für Bitterwasser waren geprägt von einer Mischung extrem großer Freude, aus dem grauen Deutschland zu fliehen und endlich wieder im Segelflugzeug zu sitzen, und großer Spannung darauf, was einen vor Ort erwartet. Über die Heftigkeit von Wetterphänomenen hier hatte ich mir intellektuell Gedanken gemacht, allerdings fiel es mir schwer, diese emotional zu realisieren. Bezüglich des Zusammenhalts und der Gäste hier vor Ort, hatte ich völlig unterschiedlich lautende Berichte gehört. Neugierig gemacht von diesen Eindrücken, wollte ich aber unbedingt einmal hier her und erfahren wie es ist, in der afrikanischen Sonne fliegen zu gehen.
Das Wetter
Von zu Hause gewinnt man jeden Winter wieder einen Eindruck vom südafrikanischen/namibianischen Wetter, der in einer Art und Weise bombastisch ist, so dass man es kaum noch richtig einzuordnen vermag. Ich möchte aber versuchen, dies in eine Relation zu bringen.
True Airspeed Effekt
In Deutschland fliegen wir ja in der Regel in einem Höhenband von 1.000 bis 2.000m. Der Einfachheit halber sagen wir mal, dass wir im Mittel in 1.500m herumfliegen. Die Faustformel zur Berechnung des Effekts der geringeren Luftdichte besagt, 2% mehr Geschwindigkeit pro 300m Höhe. Folglich fliegt man in 1.500m ca. 10% schneller als der Fahrmesser anzeigt.
Hier in Namibia fliegt man in der Regel zwischen 3.500m und gut 5.000m. Ich nehme einfach mal einen mittleren Wert von gut 4.200m an. Daraus resultiert also eine Erhöhung der True Airspeed in Relation zur Indicated Geschwindigkeit von 28%.
Also praxisnah:
Deutschland: Vorfluggeschwindigkeit 170 km/h = 187 km/h wahre Fluggeschwindigkeit
Namibia: Vorfluggeschwindigkeit 170 km/h = 218 km/h wahre Fluggeschwindigkeit
Dieser enorme Effekt ist in meinen Augen der Haupttreiber der großen Schnitte und damit der großen Flugstrecken. Fliegt man also hier in etwa wie in Deutschland, ist es nicht unrealistisch, allein aus diesem Effekt über den Flugtag rund 20-30 km/h schneller zu fliegen.
Blockspeed
Für mich ist die Idee von Blockspeed hier in Namibia kaum anwendbar. Sicherlich gibt es hier die eine oder andere ganz kurze Linie, auch mal die
eine oder andere Reihung. Allerdings fliegt man die meiste Zeit von Wolke zu Wolke relativ direkt. Dafür, dass es keine wirklichen dynamischen Linien (ab von den Konvergenzen) gibt, sind die Aufwinde riesig. In den großen Höhen schießt man mit um die 150km/h True Airspeed durch die Bärte und kann die Bärte dennoch gefühlt genau im Zentrum halten. Jede Wolke verführt – gefühlt sinnvollerweise – zum Fahrt reduzieren, um die Energie vollens mitzunehmen.
Die Aufwinde sind natürlich stark, stärker als in Deutschland. Aber man kurbelt eben auch oft 3-5 m/s. Klingt natürlich toll, ist es auch. Aber irgendwie war mein Bild eher in die Richtung geneigt, noch viel bombastischere Steigwerte als Regel zu haben.
Im Vorflug ist es die Regel, dass man weniger darüber nachdenkt, wie schnell man in Anbetracht der Thermikstärke fliegen sollte, sondern vielmehr wie schnell man maximal fliegen darf und sollte in Anbetracht der Sicherheit. Häufig bietet es sich an, die Gleitflüge im grünen Fahrtmesserbereich zu absolvieren. Teilweise gibt es auch im blauen heftige Turbulenzen. Ich für meinen Teil fühlte mich im grünen Fahrtmesserbereich zumindest bedeutend wohler, auch wenn gelegentlich ein schnelleres Vorfliegen sinnvoll gewesen wäre. Wenn man also in etwa so konsequent wie in Deutschland fliegt, sind aufgrund der Thermikstärke nochmal 10-20 km/h erhöhte Tagesschnittgeschwindigkeit drin.
„True MacCready“
Kaum jemand in Deutschland fliegt, wenn er eine 50er Flächenbelastung und ein mittleres Steigen über den Tag von 2,5 m/s hatte, auch wirklich mit einem solch hohen MacCready-Wert real vor. Je nach Flugzeug variiert der Wert, aber immer ist er weit jenseits der 200 km/h. Allerdings beginnt diese Rechnung mit der True Airspeed hier in Namibia plötzlich Sinn zu machen. Mit den sehr hohen True Airspeeds und mittlerem Steigen zwischen 3 und 4 m/s, beginnt man auf einmal, dieser Theorie im Vorflug fast schon aus Versehen zu gehorchen. Wie ich finde, eine spannende Erkenntnis.
Die Menschen hier
Ganz gleich, ob Fliegerkameraden, Helfer Flight Office, Küchenchef oder Gärtner. Die Atmosphäre ist von großer Freundlichkeit, Offenheit und Herzlichkeit geprägt. Keiner – zumindest seitdem ich hier bin -, der für sich mehr in Anspruch nimmt als er verdienen würde. Es ist wirklich
eine Überraschung für mich, wie sehr die Stimmung und der Umgang dem von heimatlichen Flugplätzen ähnelt. Herzlichen Dank schon an dieser Stelle an die Menschen, die diesen Urlaub zu einem unvergesslichen machen.
Ist das Fliegen in Afrika auch etwas für mich
Diese Frage konnte mir im Vorfeld natürlich keiner recht beantworten. Aber vielleicht kann ich für den einen oder anderen, der daran interessiert ist, dieses Erlebnis zu machen, einige Hinweise geben:
Die Kosten
Wenn man einmal erlebt hat, welche Logistik nötig wird, um hier unten fliegen zu gehen, der versteht auch die Kostenstruktur. Eine ungleich allem erlebte Materialschlacht in der extremen Hitze. Eine aufwendige Organisation hier vor Ort, damit man trotz der Witterung vernünftig und einigermaßen entspannt in das Flugzeug gelangt und startet. Kein unnötiger Luxus, mehr notwendige Versorgung. Die lang ausgereizten Tage, die kaum Zeit lassen für weitere Aktivitäten. Die Logistik und Technologie des Transports von Fluggerät und Piloten. Das Flight Office, das alle Flugzeuge überwacht und acht gibt, dass es allen gut geht und die Risiken versucht zu minimieren. Ohne diesen Apparat kann ich mir das Fliegen hier höchstens als reinen Abenteuerurlaub vorstellen, aber nicht als einigermaßen sichere, für nicht-Extremsportler dennoch geeignete Urlaubsform.
Fliegerische Fähigkeiten
Es ist immer schwer, Richtlinien zu formulieren, anhand derer sich eine fliegerische Eignung für etwas ableiten lässt. Die Fliegerei hier in Namibia und Botswana macht dabei keine Ausnahme. Aber vielleicht so viel: Ich hatte den Eindruck, dass meine gut 2.500 Flugstunden, die ich bisher gesammelt habe, und meine recht ordentliche körperliche Konstitution dazu führten, dass ich gerade so für die Fliegerei hier unten geeignet bin. Denn mit überdurchschnittlichen handwerklichen Fähigkeiten ist es nicht getan. Man muss auch manchmal zügig vorankommen, um dem Wetter zu „entkommen“. Muss nebenbei völlig freihändig auf englisch funken können und auch im Stress sehr ruhig und besonnen bleiben. Die Anforderungen an Mensch und Maschine sind einfach extrem hoch. Mein Plädoyer geht also dahin, sich sehr kritisch selbst zu hinterfragen.
Für diejenigen, die eine solche Reise erstmalig planen, empfehle ich, wenigstens zwei deutsche Flugsaisons als Vorbereitung zu nutzen. Dabei sollte man möglichst jeden fliegbaren Tag nutzen und im speziellen die wettertechnisch uneindeutigen Tage meistern lernen. Starker Wind und Wetterphänomene sind ein gutes Training für die Fliegerei hier. Außerdem würde ich ein ordentliches Fitnessprogramm empfehlen, bevor man die Reise antritt. Die Temperaturen und das fliegerisch gefordert sein über den Tag sind hoch. Auch das saubere Fliegen zu üben und zu perfektionieren ist hier extrem wichtig. Gelangt man doch aus Versehen in der dünnen Höhenluft mit den schweren Flugzeugen ins Trudeln, so kann es schon einmal sehr spannend werden. Ein hervorragender Trainings- und Kenntnisstand im Bezug auf das gewählte Fluggerät ist folglich ebenfalls unerlässlich.
Doppelsitzer oder Einsitzer
Bin ich in dieser Frage in heimatlichen Gefilden eher gleichgültig gegenübergestellt, ist für mich hier in Namibia die Antwort sehr einfach. Doppelsitzer!!! Das Fliegen hier empfinde ich, und da bin ich mir mit Simon Schröder und Tobi Welsch einig, als mental und körperlich so anstrengend, dass man sich freut, alle Stunde mal das Fliegen optisch in sich aufzusaugen und ein wenig zu pausieren. Ich kann jedem nur wärmstens empfehlen, sich zunächst hier im Doppelsitzer zu vergnügen. Es gibt mittlerweile viele junge, hervorragende Piloten, die sich hier gut auskennen und die sicherlich gerne einige Tage mitfliegen. Oder man sucht sich einen Partner, mit dem gemeinsam man dieses Abenteuer vorbereitet. Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, hier auf Anhieb im Einsitzer seine größte Freude finden zu können.
Tracking
Big Brother hat in der menschenleeren Halbsavanne Namibias und Botswanas viele sehr positive Effekte. Speziell das Tracking und die Rufmöglichkeiten des Spot sind hervorragend an die hiesigen Bedingungen angepasst und dafür geeignet. Die Flugwegverfolgung ermöglicht dem Flight Office und den Daheimgebliebenen die Aktivitäten zu verfolgen. Sollte man bei einer Aussenlandung oder in einer anderen Situation Hilfe benötigen, so kann das Gerät die Rückholer oder Helfer auf die richtige Fährte führen. Die Abdeckung des Handynetzes ist extrem dünn, so dass Satellitentelefon und Spot die entsprechenden Hilfsmittel der Wahl sind.
Disclaimer
Ich möchte mit meinen Worten niemandem den Traum vom Fliegen im Segelflugparadies vermiesen. Lediglich möchte ich auf Sensibilität und Aufmerksamkeit für die Vorbereitung eines solchen Erlebnisses hinweisen. Die Freude und Erfüllung ist ohnehin mit einem geeigneten Trainings- und Vorbereitungsstand deutlich höher.
Viele Grüße in die Heimat und Spaß bei der Vorbereitung Eurer nächsten Abenteuer,
Frerk
Lest auch gerne mehr zu den beiden ersten Flügen mit Tobi:
1. Flugtag Bitterwasser – Chef Tobi
2. Flugtag Bitterwasser – Geilo
Wenn ihr Anregungen oder Feedback habt, freue ich mich sehr. Schreibt mir gerne eine Mail an: frerk@finanzberatung-frommholz.de oder nutzt einfach das Kontaktformular:
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